Ein Gesetzesentwurf zur Erbrechtsreform polarisiert Tunesien. Frauen sollen künftig genauso viel erben dürfen wie Männer, meint Präsident Beji Caïd Essebsi. Doch das verärgert besonders die Konservativen im Land.
Die Demonstranten, die sich am Montagabend (13.08.2018) im Zentrum von Tunis versammelt hatten, um für mehr Frauenrechte zu protestieren, waren in Feierstimmung: Musik, tunesische Flaggen, viele Selfies und kämpferische Slogans prägten das Bild. „Recht auf gleiches Erbe“ und „mein Bruder und ich sind gleich“ skandierten Männer und Frauen gemeinsam.
Wenige Stunden zuvor hatte Tunesiens Präsident Beji Caid Essebsi anlässlich des tunesischen Frauentags angekündigt, einen Gesetzesvorschlag zur Gleichstellung von Frauen und Männern beim Erbe ins tunesische Parlament einzubringen.
„Unsere Verfassung müssen wir respektieren“, sagte der 91-jährige Staatschef und schwenkte symbolträchtig eine Ausgabe des Textes, der 2014 verabschiedet wurde. Er schreibt das Prinzip der Gleichstellung von Männern und Frauen in allen Lebensbereichen vor. Die Gleichstellung von Erben – unabhängig vom Geschlecht – solle daher die Norm werden, wenn es nach dem Präsidenten geht. Das derzeit geltende Erbrecht in Tunesien orientiert sich am muslimischen Recht, nach dem Frauen in den meisten Fällen nur halb so viel wie Männer gleichen Erbranges bekommen. Diese Form des Erbrechts soll als Wahlmöglichkeit aber beibehalten werden.
Am tunesischen Frauentag fordern die Demonstranten mehr Gleichberechtigung
Ein wichtiger Schritt, aber nicht genug
Für die Demonstranten wäre eine Erbrechtsreform ein wichtiger Schritt, doch vielen geht er nicht weit genug. „Die Mentalitäten müssen sich grundsätzlich ändern“, so Lilia Meddeb, die am Abend wie einige Tausend andere auch im Stadtzentrum auf die Straße ging. „Wenn wir eines Tages nicht mehr über Frauen diskutieren müssen, haben wir erreicht, was wir wollen.“ Doch davon sei Tunesien noch weit entfernt. Meddeb befürchtet, dass die Gesellschaft in Zukunft eher konservativer würde.
Im Vorfeld des tunesischen Frauentages hatten muslimisch-konservative Gruppen zu Protesten aufgerufen. Stein des Anstoßes war der Bericht einer Reformkommission zu individuellen Freiheiten, die Essebsi vor einem Jahr eingesetzt hatte. Neben einer Reform des Erbrechts empfiehlt die Kommission auch die endgültige Abschaffung der Todesstrafe, eine Reihe an Reformen im Bereich des Familienrechts und die Dekriminalisierung von Homosexualität. Vor allem Letzteres spaltet neben dem Erbrecht die Gesellschaft. mehr
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