In Tunesien verschärfen sich die Spannungen zwischen der Regierung und Anhängern der Opposition. Bei einer Demonstration zum Märtyrertag kam es in der Innenstadt der Hauptstadt Tunis zu massiven Übergriffen auf Demonstranten und Journalisten. Dabei wurden mehrere Menschen verletzt.

„Das Volk hat genug von den neuen Trabelsis“ und „Das Volk fordert den Sturz des Systems“ schreien die Demonstranten in Tunis auf der Hauptstraße von Tunis – im Januar 2011 hatten sie dort Machthaber Ben Ali verjagt. Ein gutes Jahr später ist die Avenue Bourguiba erneut Schauplatz gewalttätiger Übergriffe der Polizei auf Demonstranten und Journalisten.  Seit zwei Wochen hat das tunesische Innenministerium dort jegliche Demonstrationen verboten.  Doch nach einer Demonstration von Arbeitslosen am vergangenen Samstag, die gewaltsam niedergeschlagen wurde, riefen verschiedene Gruppierungen dazu auf, den Märtyrertag heute auf der Avenue Bourguiba zu begehen.

Die Wut der Demonstranten richtet sich vor allem gegen die islamistische Partei Ennahdha, die größte Partei der Regierungskoalition. Während friedliche Demonstrationen der Opposition und der Gewerkschaft in den vergangenen Wochen mehrfach mit Tränengas aufgelöst wurden, ließ die Regierung salafistische Gruppierungen unbehelligt demonstrieren.

„Polizei in Zivil oder Miliz?“ spekuliert die tunesische Presse

Immer wieder drängen im Verlauf des Vormittags tausende Demonstranten in Richtung Hauptstraße vor, die Polizei setzt zunächst nur Tränengas ein, um die Menge aufzulösen. Doch am späten Vormittag fängt sie an, auch mit Schlagstöcken vorzugehen. Polizeiautos rasen durch die Straßen der Innenstadt, Personen in Zivil mit vermummtem Gesicht werfen Tränengaskartuschen in die Menge oder springen aus dem Auto, prügeln mit Schlagstöcken scheinbar wahllos auf Umstehende ein und verschwinden wieder. Auffallend viele Personen in Zivil zählen zu den Angreifern, ihre Autos sind ohne Kennzeichen unterwegs. Ob es sich dabei um Polizisten in Zivil oder – wie viele in Tunesien spekulieren – um Milizionäre des alten Regimes oder der Regierungspartei Ennahdha handelt, ist schwer zu beurteilen. Dass sie eng mit der Polizei kooperieren war aber nicht zu übersehen. Im Nationalfernsehen sagte der tunesische Innenminister Ali Larayedh abends, die Polizei habe keine Schlagstöcke eingesetzt. Hier einige Fotos von heute, auf denen das anders aussieht. Larayedh und Präsident Moncef Marzouki berichteten von Übergriffen auf Journalisten. Außerdem hätten die Sicherheitskräfte in der Nähe der Hauptstraße von Tunis einen Wagen mit Molotov-Cocktails gestoppt. Daher habe die Polizei hart durchgegriffen.

Die tunesischen Journalisten sehen die neugewonnene Pressefreiheit in Gefahr

Wenig später häufen sich auch die Übergriffe auf Journalisten, die über die Demonstration berichten wollen. Es bleibt nicht lange bei Verbalattacken – wer Kamera oder Mikrofon zückt wird von Polizisten und Personen in Zivil beschimpft und teilweise körperlich angegriffen. Außer dem Versuch, meine Kamera kaputt zu schlagen ist mir nicht viel passiert, da ich mich in ein Café flüchten konnte, als die Polizei begann, gezielt gegen Journalisten vorzugehen. Eine Mitarbeiterin des maghrebinischen Senders Nessma TV hat allerdings mehrere Knochenbrüche erlitten, Julie Schneider von Le Point berichtet, dass sie von Polizisten zusammengeschlagen wurde, außerdem wurde ein Kameramann der BBC angegriffen.

Am Abend kam es laut Berichten verschiedener tunesischer Medien zu Demonstrationen in Sousse, Sfax, Monastir und Sidi Bouzid. In Monastir wurde ein Büro von Ennahdha in Brand gesetzt.