In einem historischen Prozess wird in Tunesien zum ersten Mal ein Fall vor einem Sondergericht der Übergangsjustiz verhandelt. Angeklagt sind auch mehrere Minister und der ehemalige Staatspräsident Ben Ali.

Am 7. Oktober 1991 gegen 14 Uhr wird Kamel Matmati vor seiner Arbeitsstelle in ein Zivilfahrzeug der Polizei gezerrt. Wenige Stunden später ist der 35-Jährige tot. Doch seine Familie wird fast zwanzig Jahre lang im Glauben gelassen, dass er noch lebe. Erst 2009 erfährt sie, dass Matmati bei seiner Festnahme zu Tode gefoltert wurde.

Jetzt müssen sich seine mutmasslichen Mörder zum ersten Mal vor Gericht verantworten. Der Prozess, der am Dienstag in Gabes, der Heimatstadt Matmatis im Süden Tunesiens, eröffnet wurde, ist das erste Gerichtsverfahren der Übergangsjustiz in der Geschichte des Landes. Unter den 14 Angeklagten, die sich für Menschenraub, Folter und Mord verantworten müssen, sind neben mehreren Sicherheitskräften auch zwei ehemalige Minister aus der Zeit der Diktatur sowie der ehemalige Staatspräsident Zine al-Abidine Ben Ali, der in Saudiarabien im Exil lebt. Kein Angeklagter erschien zum Prozessauftakt. Neben der Familie befragte der zuständige Richter mehrere Arbeitskollegen Matmatis, die Zeugen seiner Verschleppung wurden, sowie einen mitgefangenen Arzt, der damals Matmatis Tod feststellte. Die nächste Anhörung findet am 10.Juli statt

Ein «Sieg für alle Tunesier»

Mit gefasster Stimme berichtete Matmatis Frau Latifa bereits im November 2016 vor der tunesischen Wahrheitskommission von den Schrecken, die sie nach dem Verschwinden ihres Mannes durchmachte. Jahrelang brachte sie saubere Kleidung und Essen zur Wache und später zum Gefängnis, wo ihr Mann wegen seiner Mitgliedschaft bei der Bewegung der islamischen Tendenz, dem Vorläufer der heutigen Regierungspartei Ennahda, angeblich einsass. Später erzählten ihr die Sicherheitskräfte, er sei aus dem Gefängnis ausgebrochen. Die Familie wurde im Alltag gegängelt und unter Druck gesetzt. Täglich musste Latifa Matmati sich zu dieser Zeit bei der Polizei melden, die Kinder wurden in der Schule gehänselt und konnten später keiner Arbeit nachgehen. Oft standen mitten in der Nacht Sicherheitskräfte vor der Tür, um die Familie zu fragen, wo sich Matmati versteckt halte. mehr