Nach der Demonstration vom 9. April, bei der es zu massiven Übergriffen der Polizei gekommen war, stand heute in Tunis die Nagelprobe an. Zwei der drei Gewerkschaften, die UGTT und die UTT, hatten zu Demonstrationen aufgerufen. Ja, solange sie sich an abgesprochene Strecke und Uhrzeiten halten, gab das Innenministerium bekannt. Rund dreihundert Demonstranten zogen gegen zehn Uhr morgens vom Sitz der nach der Revolution gegründeten UTT Richtung Platz der Menschenrechte. Einige Straßen weiter, vor dem Gebäude der ehemaligen Einheitsgewerkschaft am Platz Mohamed Ali, war um diese Zeit längst kein Durchkommen mehr. Tausende drängten sich in den umliegenden Gassen, bevor die Menge dann – wie am 14. Januar 2011 – Richtung Innenministerium zog. Ihre Forderungen waren so bunt gemischt wie die Teilnehmer – Arbeit, Reform des Bildungssystems, Abschaffung des Kapitalismus oder der TV-Gebühren. Trotz vereinzelter Provokationen blieb alles ruhig, Straßenhändler verkauften Fahnen, Popcorn und Zuckerwatte, auf den Terrassen der Cafés gab es bei strahlendem Sonnenschein keinen Sitzplatz mehr. „Wenn die Polizei nicht einschreitet, dann zieht auch das Argument nicht mehr, dass die Demonstrationen der Wirtschaft schaden“, lachte einer der Demonstranten.

© Sarah Mersch